ANDREAS KALCKHOFF
Nacio Scottorum.
Schottischer Regionalismus im Spätmittelalter

561 Seiten, 42 Stammtafeln, 20 Karten, DinA5, kartoniert

Europäische Hochschulschriften Reihe III: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Band 142
© Verlag Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 1983

© Andreas Kalckhoff 1991


Mit dem Unabhängigkeitskrieg 1296-1357 begann Schottlands Abwehrkampf gegen den englischen Annexionismus.

Die Studie untersucht:

  • Welche politischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen machten den nationalen Widerstand damals erfolgreich?
  • Welche sozialen und regionalen Gruppen trugen ihn?
  • Inwieweit sind nationale Unabhängigkeit und sozialer Wandel verbunden?
  • Welche Art von Bewußtsein gab den Schotten Identität?

Es zeigt sich, daß der moderne schottische Regionalismus über eine 600jährige Tradition verfügt.


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       König Robert I. Bruce (1306-1329)

Schottischer Regionalismus 
im Spätmittelalter

Schottlands aktuelle Forderung nach "Devolution" aus dem großbritischen Staatsverband - nach umfassenderer Autonomie und Wiedererrichtung eines schottischen Parlaments - weist auf die tausendjährige Geschichte des politischen Gemeinwesens, das im späteren Mittelalter als gens, populus oder nacio Scottorum erscheint: "Stamm", "Volk" und "Nation" der Schotten.
Fast 800 Jahre war Schottland ein unabhängiges Königreich unter autochtonen Dynastien. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts versuchte Englands König, der sich soeben Wales einverleibt hatte, auch Schottland abhängig zu machen. Mit dem darauf folgenden Unabhängigkeitskrieg 1296-1357 begann Schottlands Abwehrkampf gegen den Annexionismus des mächtigen Nachbarn, der 1746 - dem Ende des Jakobitenkriegs - vorläufig verloren ging; Stationen dorthin waren die Personalunion beider Königreiche unter der schottischen Stuart-Dynastie (1603-1688) und die Parlamentsunion (seit 1707)

 

Die Studie "Nacio Scottorum - Schottischer Regionalismus im Spätmittelalter" untersucht die politischen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen, die den "nationalen" Widerstand gegen England im 13./ 14. Jahrhundert erfolgreich machten; sie forscht nach den Trägern des Abwehrkampfes und ihrer sozialen und regionalen Schichtung; sie bringt "nationales" Unabhängigkeitsstreben und sozialen Wandel in Beziehung; und sie fragt am Ende nach Art und Umfang des Bewußtseins, das der schottischen Großgruppe Identität und Zusammenhalt verschaffte.

Das Material dazu wurde durch historische Feldforschung erschlossen, so daß nebenher ein umfassendes Bild Schottlands im 13. und 14. Jahrhundert entsteht - ein fälliger Beitrag zur deutschsprachigen Rezeption britischer Geschichte. Der Zugang zu ihr erfolgt freilich über die thematischen Schlüsselbegriffe der Fragestellung.

Herkömmliche Begriffe wie "Volk" und "Nation" erweisen sich zur Beschreibung der schottischen Identität im Spätmittelalter als ebenso untauglich, wie sich die Übertragung des modernen Nationalgedankens auf die Bewußtseinslage mittelalterlicher Freiheitskämpfer verbietet. Es wird deshalb der Versuch unternommen, eine angemessene Terminologie zu entwickeln, die gleichwohl modernen Erscheinungsformen des Großgruppenbewußtseins offen ist und es möglich macht, Entwicklungslinien vom Mittelalter in die Neuzeit zu ziehen.
Wie sich herausstellt, sind gruppenbindende Identitätslagen nicht bloß Spiegel sozialer Bedingungen und materieller Interessen; als politische Willensäußerungen bewirken sie ihrerseits materielle Veränderungen. "Politischer Wille" beinhaltet dabei gleichermaßen ordnungspolitische, wirtschaftliche und kulturelle Zielsetzungen. Der Ausblick zeigt, daß der moderne schottische Regionalismus über eine Tradition verfügt, die - unter Umgehung des neuzeitlichen Nationalismus - ins 13. und 14. Jahrhundert führt.































INHALTSVERZEICHNIS

0.

EINLEITUNG: 
SCHOTTISCHER NATIONALISMUS, SCHOTTISCHER REGIONALISMUS

1.

SCHOTTISCHER REGIONALISMUS 
IM SPÄTMITTELALTER

1.0.

Der schottische Unabhängigkeitskrieg 1296-1357

1.0.1.

Vorgeschichte - Das Mädchen von Norwegen

1.0.2.

Der Große Prozeß - Johan de Balliol

1.0.3.

William le Waleys, die Regenten und Robert de Brus

1.0.4.

Edward de Balliol und David II. Brus - Nachgeschichte

1.0.5.

Zusammenfassung

 

1.1.

Schottland - die erste Nation Europas?

1.1.0.

Ethnos und Demos: Schottland um 1296

1.1.1.

Rasse, Sprache, Kultur

1.1.2.

Recht und Religion

1.1.3.

Territoriale Einheit

1.1.4.

Volkstums- und Nationalbewußtsein

1.1.5.

Königtum

1.1.6.

Sieben Grafen, Regenten, Parlament

1.1.7.

Regia dignitas, status regni, communitas regni

1.1.8.

Zusammenfassung

1.2.

Die Anhänger des "schottischen Löwen"

1.2.0.

Regionen und Schichten: Schottland 1296-1357

1.2.1.

Westliches Hochland - zentrales Hochland

1.2.2.

Nördliches Tiefland - Zentralschottland

1.2.3.

Südwesten - Südosten

1.2.4.

Schottlands Regionen 1329-1357

1.2.5.

Adel

1.2.6.

Klerus

1.2.7.

Städte und Kaufleute

1.2.8.

Das "Volk"

1.2.9.

Zusammenfassung

1.3.

Der Kampf um Identität und Integrität Schottlands

1.3.0.

Annexion und Separation, Bürgerkrieg und Revolution

1.3.1.

Bürgerkrieg

1.3.2.

Annexion und Separation

1.3.3.

Revolution

1.3.4.

Ökonomie des Bürgerkriegs

1.3.5.

Ökonomie von Annexion und Separation

1.3.6.

Ökonomie der Revolution

1.3.7.

Annexion, Separation und Vaterlandsliebe

1.3.8.

Bürgerkrieg und Vaterlandsliebe

1.3.9.

Revolution und Vaterlandsliebe

1.3.10

Zusammenfassung

2.

SCHLUSS: WESEN UND BEDINGUNG 
DER NACIO SCOTTORUM

Anmerkungen

Nachwort

Zur Person des Autors

Anhang

Quellenbesprechung

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Stammbäume































Rezensionen


Damals, Zeitschrift für geschichtliches Wissen 7, Gießen 1983

Im Oktober 1974 gewannen die Nationalisten in Schottland dreißig Prozent der Wählerstimmen und elf Unterhaussitze. Ihre Forderung nach "Devolution" - nach umfassender Autonomie und Wiedereinrichtung eines schottischen Parlaments - ist seitdem ernsthafter Gegenstand britischer Politik und Politikwissenschaft.
In unseren Breiten nimmt man davon kaum Kenntnis, vielleicht weil die Schotten nicht - wie Iren und gelegentlich Waliser - mit Bomben ihren Argumenten Nachdruck verleihen. Die hiesige Literatur hat sich überhaupt um die schottische Geschichte wenig gekümmert. Völlig zu Unrecht, denn immerhin bestand Schottland fast achthundert Jahre lang als unabhängiges Königreich unter Herrschern aus eigenem Land, ja schottische Könige saßen im 17. und 18. Jahrhundert sogar auf dem englischen Thron. Erst 1707 ging aus der Parlamentszusammenlegung beider Nachbarländer Großbritannien hervor, dominiert freilich von dem mächtigeren und volkreicheren England.

 

Wenn sich die Schotten am britischen Herd, dank der imperialistischen Fleischtöpfe, die darauf gekocht wurden, zeitweise auch ganz heimisch fühlten, ging doch die Erinnerung an die alte Unabhängigkeit nie verloren und wurde in dem Maße wieder lebendig, als Glanz und Wohlstand des Empire schwanden. Der Nationalismus, der dabei zutage trat, ist deshalb bemerkenswert, weil er sich - wie in Irland - nicht auf eine Sprache stützte, aber auch nicht auf eine Religion; das Gälische, heute noch von 1,5 % der Bevölkerung gesprochen, war nie die Sprache des ganzen Landes, und die Reformation wirkte in Schottland teilweise radikaler als in England. Was die Schotten vereint, ist vielmehr die Geschichte ihres Gemeinwesens und der politische Gegensatz zu England, der spätestens seit dem 14. Jahrhundert hervortrat. Damals versuchte der große Nachbar, sich das kleine Königreich im Norden einzuverleiben. Der Versuch scheiterte in einundsechzig Jahren Krieg, und die Erinnerung an den siegreichen Unabhängigkeitskampf beflügelt das Selbstbewußtsein der Schotten noch heute.

Andreas Kalckhoff macht die "Nacio Scottorum" (Peter Lang, Frankfurt a. M. 1983), die schottische Nation, wie sie damals entstand, zum Thema einer 500-Seiten-Studie, die - obwohl sie sich, wie der umfangreiche wissenschaftliche Apparat" (Anmerkungsteil, Literaturverzeichnis, Karten und Stammbäume) ausweist, an ein Fachpublikum wendet - flüssig geschrieben und auch für den Laien verständlich ist. Dabei überträgt er nicht einfach die heutigen Begriffe von "Volk" und "Nation", wie sie im 18. und 19. Jahrhundert entstanden, auf das Mittelalter. Er versucht vielmehr, den zeitgenössischen Bedeutungen von nacio (Nation), gens (Stamm) und populus (Volk) auf die Spur zu kommen, indem er genau hinschaut, was die Zeitgenossen dazu sagten und welche Personengruppen so bezeichnet wurden. "Nationalismus" im modernen Sinne - dies kommt dabei heraus - bestimmte den Unabhängigkeitskrieg der Schotten damals noch kaum; dafür gibt es Anknüpfungspunkte zu den Motiven der heutigen ("regionalistischen") Unabhängigkeitsbewegung in Schottland, die auch nur schwer in das Schema des "klassischen,' Nationalismus paßt.
(fl)

 


Journal of Medieval History 9, Amsterdam 1983 (Auszug)

The author investigates the communitas regni Scocie in the period of what he calls the War of Independence against England, in 1296-1357, and provides a brief general introduction dealing with the earlier period. Unless somebody undertakes to translate this book, serious students of Scottish history will have to look to their German; it is not a book to be ignored.

 


Studi Medievali, 3a Serie, XXV (Auszug)

Il K. intende superare la difficoltà analizzando in concreto, meticolosamente, tutte le forme in cui la Scozia risulta organizzata nel corso di quella guerra e come le solidarietà sociali più disparate funzionarono in essa. Ne risulta che nacio Scottorum nulla ebbe a che fare con il concetto oggi consueto di nazionalità ...

Alla fine del XIII secolo vi funzionavano ancora i clan tradizionali, senza pretesa di costituire tutti insieme una stirpe. Ma le vicinanza dei nuclei di popolazione creava consuetudini di vita suscettibili di trasformarsi in volontà di indipendenza di fronte ad interventi estranei, quale fu quello inglese. La Scozia divenne allora una patria ...

Questa linea di fondo, che possiamo enucleare dall'opera di K., si sviluppa in una ricca ricostruzione dei molteplici mutamenti dell'economia, della società e del potere nelle diverse zone della Scozia, in sessant'anni decisivi per la sua storia ... Se poi confrontiamo il nazionalismo scozzese con quello emergente nel Galles del XIII secolo, risulta chiara la necessità di distinguere mediente analisi attente i percorsi seguiti dalle popolazioni europee nell'elaborare una propria identità nazionale: secondo il metodo seguito appunto dal K.
(Giovanni Tabacco)

 


Zeitschrift für historische Forschung 2/ 1986

Der Verf. geht dem Problem nach, ob der Wortverwandtschaft von mittellateinisch nacio und neuenglisch nation im schottischen Falle auch eine Begriffsverwandtschaft entspricht. Hinzu kommt die Frage, welches Gruppenbewußtsein dem schottischen Gemeinwesen des 13. und 14. Jahrhunderts Zusammenhalt und Identität verlieh.

K. führt die Entstehung der nacio Scottorum, die im Spätmittelalter ihre Identität verteidigte, auf einen sozialen Verhaltenswandel und die damit verbundene Gesellschaftsveränderung zurück. Er konstatiert in diesem Zusammenhang einen rudimentären Nationalismus, der die nacio ethnisch begründete und sich dabei auf den gälischen Bevölkerungsteil bezog. Hiervon sei jedoch die moderne schottische "Staatsnation" deutlich abzuheben.

(Karl Schnith, München)

 


Plural Societies 18, 1989

"Ethnicity in East and West" (Auszug)

Being almost entirely absorbed by modern history, I discovered rather late Andreas Kalckhoff's magnificent monograph Nacio Scottorum. Schottischer Regionalismus im Spätmittelalter (Lang Frankfurt 1983).

Kalckhoff poses that during the 14th century Scottish identity evolved towards a nationhood. As in Flanders, Switserland and Sicily the rise of medieval ethnocentrism was accelerated by the intrusion of a foreign enemy. Kalckhoff is of the opinion that an ethnic community becomes a nation, when the commonwealth of a people is no longer considered to the purpose, but the result, of a shared destiny. Kalckhoff consequently defends the thesis that 14th century Scotland was a fatherland in which some pristine features of a nation were already developing. The author is aware of the many historians who date the beginnings of nationhood (not implying the old "nacio"-meaning) to the post-medieval period. His survey of the literature shows that there is a broad variety of opinions on the chronology and sources of nationhood and nationalism.

(A. S.)

 


© Andreas Kalckhoff, Version 9. März 1996

© Andreas Kalckhoff, Version 9. März 1996